Der fast glückliche Imker, von Undine Westphal
Vor etwas längerer Zeit gab es in einem kleinen beschaulichen Dorf einen Imker. Er hatte etliche Bienenvölker, die ihm wunderbar aromatischen Honig bereiteten. Sein Honig war sehr begehrt bei den Dorfbewohnern; sie rissen ihn ihm geradezu aus den Händen. Fragte man den Imker jedoch, wie es ihm mit seinen Bienen ginge, so antwortete er stets: „Ich bin fast glücklich. Es läuft zwar alles gut mit meinen Bienen, aber ein bisschen mehr Honig würde nicht schaden.“ Bekam er in einem Jahr besonders viel Honig, so war es ihm wiederum zu wenig Geld oder zu viel Arbeit mit dem Honigschleudern. Egal, wie ausgezeichnet das Jahr lief, es gab stets etwas, das ihn nicht glücklich machte.
Seine ständige Nörgelei erreichte irgendwann eine seiner Bienenköniginnen. Sie nahm es sich sehr zu Herzen und überlegte, wie sie ihm etwas Gutes tun konnte. So rief sie ihr Volk zu sich und hielt eine große Ratsversammlung ab. Alle waren sich einig, dass er ein guter Imker war; er behandelte sie alle mit Respekt, nahm nie Honig aus dem Brutraum, beschnitt nie die Flügel der Königin, und wanderte nur nachts, damit seine Bienen keinen Schaden nahmen. Also steckten die Bienen ihre Köpfe zusammen und beratschlagten sich. Es dauerte gar nicht lange bis sie, wie Bienen nun einmal sind, zu einem demokratischen Entschluss kamen. Nur eine kleine, gerade frischgeschlüpfte Biene wagte es zu wiedersprechen: „Frau Königin“, sagte sie, „meinen Sie das wäre klug? Meinen Sie, damit können wir unseren Imker so richtig glücklich machen?“ „Kleine Biene“, sagte da die Königin, „warte einfach ein bisschen, das Glück wird kommen. Zwar nicht sofort, aber ich verspreche dir, am Ende wird unser Imker der glücklichste aller Imker auf Erden werden“.
In dieser Nacht hatte unser Imker einen merkwürdigen Traum. Er träumte von einer seiner Königinnen, der großen mit der Nummer 24. Er wusste schon immer, dass sie eine ganz besondere war. „Lieber Imker,“ sprach sie, „wir möchten dich belohnen, da du immer so gut zu uns warst. Wenn Du morgen zu uns kommst und einen Wunsch hast, so werden wir ihn dir erfüllen. Nur – wähle weise!“, so sprach sie und verschwand aus seinem Traum. Am nächsten Morgen konnte sich der Imker erst an seinen Traum erinnern, als er nach dem Frühstück, wie jeden Morgen, zu seinen Bienen ging. Er lauschte ihrem Gesumme und freute sich; wie immer, wenn er sie sah. Und da erinnerte er sich an seinen Traum. „Ach...“, dachte er, er wäre der glücklichste Imker auf Erden, wenn all seine Bienen aus Gold bestünden. Dann wäre er unendlich reich und könnte machen was er wollte. Er könnte er sich eine 24-Waben Selbstwende-Schleuder kaufen, eine Mittelwandpresse und einen neuen Imkeranzug aus Amerika. Er könnte zu den stachellosen Bienen nach Südamerika fahren, sich Manuka-Sträucher in den Garten pflanzen, und so weiter und so fort. Er hörte gar nicht mehr auf daran zu denken was er noch alles mit so viel Geld anstellen könnte.
Auf einmal fiel ihm auf, dass er seine Bienen nicht mehr hörte; nicht eine einzige summte noch. „Nanu?“, dachte er, „gibt es etwa ein Gewitter?“ Er ging mit schnellen Schritten zu den Beuten und öffnete wahllos eine, guckte hinein und sagte nur: “Au backe...“. Er legte den Deckel wieder auf und schüttelte den Kopf. Er öffnete die zweite Beute und es bot sich ihm das gleiche Bild: 50.000 kleine, goldene Bienen, die regungslos auf den Waben saßen. Jetzt kniff er sich in die Wange, aber die goldenen Bienen blieben dort wo sie waren. Er riss er von allen Beuten die Deckel herunter und brüllte dabei: “Ich bin reich, ich bin reich!“ Man könnte glatt meinen, dass unser Imker von jetzt auf gleich zu einem rundum glücklichen Imker geworden war. Wenn der Imker jetzt ein wenig gelauscht hätte, hätte er die kleine frischgeschlüpfte Biene gehört, die zur Königin flüsterte: „Frau Königin, das wird nicht gut gehen.“ Die Königin jedoch flüsterte zurück: „Hab nur Geduld.“
Nach kurzer Zeit war der Imker so erschöpft von seiner reinen Freude, dass er auf wackeligen Beinen ins Haus wankte und sich erst einmal einen Schnaps einschenkte, bevor er seinen besten Freund und Vereinskollegen anrief. Der kam gleich vorbei und traute seinen Augen nicht. Da er jedoch keinesfalls Neid empfand und seinem Freund das Glück aus vollem Herzen gönnte, meinte er nur: „Pack sie doch ein und bring sie zur Bank, hier werden sie eh geklaut.“ Also wurde ein Honigeimer hervorgekramt und gemeinsam kippten die beiden die goldenen Bienen aus allen Beuten hinein. Aus dem einen Eimer wurden am Ende fünf, die sie im Auto verstauten und zu ihrer kleinen Bankfiliale ins Dorf fuhren. Am Tresen bauten sie die Eimer auf und warteten, bis sie dran waren. Ja, an Gold im Ankauf seien sie interessiert – ganz egal in welcher Form, meinte der Bankbeamte. Als er aber nach den Eimern griff, passierte etwas Merkwürdiges. Der Eimer fing an zu summen und das Unglück nahm seinen Lauf, als er den Deckel öffnete. Aus dem Deckel quollen quicklebendige Bienen heraus. „Willst du mich veralbern?! Nimm deine Eimer und verschwinde!“, brüllte er noch, bevor er sich in seinem Büro verschanzte. Der Imker schloss den Eimer und nahm dann mit der Hand die kleine Bienentraube von der Decke ab, wo sie sich gesammelt hatte. Kaum aber berührte er die Bienen mit der Hand, wurden sie wieder zu Gold. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, meinte der Imker. Sein Freund aber hatte eine Idee: „Gib mir doch mal die Bienen aus deiner Hand“. Und tatsächlich, genau in dem Moment, in dem die Bienen die Hand des Imkers verließen, wurden sie wieder lebendig. „Ich glaube, ich habe ein Problem“, meinte daraufhin der Imker, nahm tieftraurig die Eimer mit den Goldbienen in die Hand, und brachte sie nach Hause. Dort stellte er sie wieder zu seinen Beuten, saß niedergeschlagen vor seinem Bienenstand und überlegte.
„Was nützt mir der Reichtum, wenn ich ihn nicht nutzen kann? Meine armen Bienen“, jammerte er, „was habe ich nur angerichtet.“ Er schämte sich entsetzlich. „Ich habe nur an mich gedacht. Was bin ich doch für ein miserabler Imker! Schon jetzt vermisse ich das Summen, den herrlichen Geruch des Honigs, und die wunderbare Ruhe, die meine Bienen ausgestrahlt haben. Sie alle sind zu Gold geworden; kalt und geruchslos liegen sie im Eimer.“ Eine Träne fiel ins Gras. Gramgebeugt schlurfte er ins Haus zurück und legte sich hin. Auch in dieser Nacht träumte er von seinen Bienen, wie sie fleißig flogen und Nektar sammelten, und lächelte im Schlaf.
Am nächsten Morgen wagte er sich kaum in den Garten – aber was war das? Das war doch ein Summen! Er ging ganz langsam und bedächtig in Richtung Bienenstand und glaubte kaum was sich ihm offenbarte: Seine Bienen flogen, emsig wie eh und je, vergnügt hin und her. Ein herrlicher Honiggeruch umwaberte die Beuten. Der Imker stolperte zum Stand, und als er eine Beute öffnete und seine Bienen quicklebendig sah, fing er vor Freude an zu weinen. Er schloss den Deckel sehr vorsichtig und setze sich dann direkt vor seine Beuten ins Gras. „Ich bin der glücklichste Imker auf der ganzen Welt“, sagte er zu seinen Bienen, und zum ersten Mal in seinem Leben glaubte er es auch. Innen im Stock strahlte eine kleine frischgeschlüpfte Biene ihre Königin an und sagte: „Du hattest recht!“
Und die Moral von der Geschichte? Glück braucht Zeit und lässt sich selten erzwingen. Manchmal ist es schon da – man muss es nur erkennen.
Euch und Ihnen allen eine besinnliche Weihnachtszeit